Wenn ich 2036 an die vergangenen 15 Jahre zurückdenke …

Hier ein Beitrag, den ich analog schon einmal bei „Regensburg weiterdenken“ gepostet hatte:

Wenn ich 2036 an die vergangenen 15 Jahre zurückdenke …

Wenn alles gut läuft, bin ich 2036 in Rente und noch am Leben … und Regensburg hat sich zu einem nachhaltig funktionierenden sozialen Gemeinwesen weiterentwickelt.

Wenn ich dann an die seit 2021 vergangenen Jahre zurückdenken werde, kann ich mich – hoffentlich – an viele positive Entwicklungen im städtischen Leben erinnern. Hier ein kleiner Rückblick aus der Sicht von 2036:

Positiv war zum Beispiel das städtische Engagement auf dem Wohnungsmarkt. Statt auf Bauträger und Privatwirtschaft zu setzen hat die Stadt entweder selbst gebaut oder die Baugenossenschaften zum Zug kommen lassen. Städtische Grundstücke wurden nicht mehr veräußert, sie wurden durch die Stadt selbst entwickelt und genutzt. Da sich hierdurch der Wohnungsmarkt entspannt hat, konnte ich schon vor mehreren Jahren mit meiner Frau aus dem mehrstöckigen Häuschen in eine ebenerdige Wohnung ziehen, als uns das Treppensteigen zu mühsam wurde. Jetzt ist es uns auch möglich in eine betreute Senioren-WG in einem Mehrgenerationenhaus zu ziehen. Solche Häuser wurden schon seit 2023 in großer Zahl von der Stadt errichtet oder gefördert, um Alternativen zu den etwas unbeliebten und verstaubten Seniorenheimen zu bieten.

Unser Auto haben wir schon lange abgeschafft. Durch den Bau der Straßenbahn, die jetzt alle Stadtteile miteinander verbindet, und der Verknüpfung mit dem DB-Schienennetz, das zwischenzeitlich auch massiv ausgebaut wurde, können wir auch bei schlechtem Wetter unsere täglichen Erledigungen und unsere Besuche und Ausflüge machen. Wann immer möglich benutzen wir aber am liebsten das Fahrrad als Verkehrsmittel, denn es bieten die größtmögliche Unabhängigkeit und Freiheit bei geringsten Kosten. Und es hält uns fit. Zum Glück hat die Stadt schon 2022 erkannt, dass das frühere Rumstopseln bei der Fahrradinfrastruktur den Radverkehr nicht wirklich vorangebracht hat. Abgesehen von der sehr hilfreichen Öffnung der Fußgängerzonen für den Radverkehr hatte es bis damals nur ein paar vergleichsweise teure aber eher nur punktuelle Maßnahmen gegeben, die die Gesamtsituation für den Radverkehr nur geringfügig verändert haben. Bauliche Veränderungen wie der Bau von Radwegen waren teuer und bedeuteten häufig das Gegenteil von dem was man vorgab erreichen zu wollen: an Kreuzungen wurden von Radwegen kommende Radfahrende immer wieder von Autofahrenden übersehen, was zu vielen schweren Unfällen führte. Auch an Grundstücksausfahrten und bei senkrecht neben dem Radweg angeordneten Parkplätzen wie z.B. im Hochweg kam es permanent zu lebensgefährlichen Situationen. Parallel zum Radweg parkende Fahrzeuge gefährdeten den Radverkehr durch sich öffnende Autotüren – ein Risiko, dem man mangels ausreichender Radwegbreite auch nicht entgehen konnte. Die Radwege waren holprig, zu schmal und im Winter nachrangig geräumt. Der beim ersten Schnee auf den Radweg gestreute scharfkantige Rollsplitt blieb den ganzen Winter über liegen und führte dadurch zu einer ständigen Rutsch- und Sturzgefahr und erhöhte das Risiko, einen Platten zu bekommen. Während selbst in kleinen Straßen 3.Ordnung wie z.B. im Kornweg auch im Winter die Kehrmaschinen unterwegs waren, bekamen die Radwege den ganzen Winter kein Kehrfahrzeug zu sehen.
Andere, preiswertere Maßnahmen brachten entweder nichts (wie z.B. das Ausweisen einer Fahrradstraße in einer Straße, in der auch vorher schon Tempo 30 galt), oder aber im Gesamtzusammenhang gesehen wenig (punktuelle Umbauten von Ampelschaltungen) oder wurden nur halbherzig umgesetzt (Wegweisungen, deren Aussagekraft weit hinter dem im KFZ-Verkehr üblichen Standard zurückblieb).

Um endlich den erwünschten und auch mittlerweile dringend benötigten Nutzen aus den Vorteilen des Radverkehrs ziehen zu können, suchte die Stadt nach Möglichkeiten, dem Radverkehr einen großen Schub zu geben. Wegen der nach der Coronakrise geschmälerten finanziellen Möglichkeiten waren kostengünstige Lösungen gefragt. Man hatte schließlich zwei Ideen, die zusammen mit den landläufigen anderen Radverkehrs-Fördermaßnahmen den Durchbruch brachten:
1) die Stadt ermöglichte ab Mitte 2022 dem Radverkehr, endlich auf eine hervorragend geeignete Infrastruktur zuzugreifen, die ihm vorher in großen Teilen verwehrt worden war: die Stadt hob die Radwegebenutzungspflicht im gesamten Stadtgebiet auf.
Wo dies wegen Tempo 60 nicht möglich gewesen wäre, wurde Tempo 50 eingeführt.
Bei den wenigen Straßen, bei denen die Stadt sich nicht traute, die Sperrung der Straße für den Radverkehr aufzuheben, nahm die Stadt Geld in die Hand und baute den Radweg in dem Standard aus, wie er seit Jahrzehnten für den KFZ-Verkehr selbstverständlich ist. Das heißt unter anderem: breit, mit dauerhaft ebenem Oberflächenbelag, ohne Überfahren von Schwellen und Entwässerungsrinnen, mit günstigen Ampelschaltungen, im Winter geräumt und gestreut und wenn der Schnee geschmolzen ist auch zeitnah wieder gekehrt. Auf das Aufstellen von Altglascontainern neben Radwegen wurde verzichtet und neben den Radwegen gab es keine KFZ-Stellplätze.
Die vorhandenen, jetzt nicht mehr benutzungspflichtigen Radwege wurden nicht zurückgebaut, da sie für Leute, die auf dem Fahrrad etwas unsicher und somit auch langsam unterwegs sind wie z.B. Kinder, alte Menschen oder schwer bepackte Fahrräder eine zwar holprige aber doch halbwegs brauchbare Alternative darstellten. Wer aber als normale Alltagsradlerin oder –radler unterwegs war, konnte endlich auf der komfortablen, schnellen und sicheren Infrastruktur unterwegs sein, die vorher nur dem bis dahin privilegierten Autoverkehr vorbehalten war.
2) in Regensburg gibt es glücklicherweise auch viele Straßen ohne Radwege. Viele dieser Straßen wurden auch damals schon stark vom Radverkehr genutzt. Die Straßen hatten häufig eine schlechte Fahrbahnoberfläche – dies lag insbesondere an den vielen ausgebesserten Stellen nach Kanalbauarbeiten, Leitungsverlegungen etc. Diese Stellen wölbten sich häufig entweder stark nach oben oder sackten ab, was beim Darüberfahren mit dem Fahrrad den Lebensmitteleinkauf aus dem Fahrradkorb hüpfen ließ oder zumindest die Angst aufkeimen ließ, dass man den Einkauf nicht heil nach Hause bringt. Ganz abgesehen von den körperlichen Belastungen, die solche Schläge auf den Körper darstellten. Um dieses Hindernis für die weitere Verbreitung des Fahrrades als Alltagsverkehrsmittel aus dem Weg zu räumen etablierte die Stadt 2022 beim Tiefbauamt eine Abteilung, die sich gezielt mit dem Entschärfen der Oberflächenunebenheiten im Hinblick auf den Radverkehr beschäftigte. Zunächst wurde begonnen, mit Straßenkontrollfahrzeugen die Unebenheiten zu erfassen, zu kategorisieren und eine Prioritätenliste zu erstellen. Nachdem die ersten Straßenzüge erfasst waren, begannen Trupps des Tiefbauamtes, die gefährlichen Stellen so zu bearbeiten, dass man sie beim Darüberfahren mit dem Fahrrad nicht mehr oder nur noch marginal spürte.
Nachdem die wichtigsten Straßen bearbeitet waren, wurden auch die nicht benutzungspflichtigen Radwege in das Programm aufgenommen.
Nach ein paar Jahren waren diese Ausbesserungsarbeiten schon weit fortgeschritten.

Nun gab es also ein Netz von kleineren Straßen mit gut ausgebesserter Oberfläche sowie ein Netz von ursprünglich einmal für den Radverkehr gesperrten Straßen, die in der Regel schon eine für den Radverkehr gut geeignete Oberfläche hatten.
Hinzu kamen noch die oben unter 1) genannten wenigen aber gut ausgebauten straßenbegleitenden Radwege sowie ein (wegen der hohen Kosten allerdings langsam) wachsendes Netz an Radschnellwegen.
So wurde es den Bürgerinnen und Bürgern möglich, auch sensiblere Transporte mit dem Fahrrad abzuwickeln, ohne dass das Transportgut oder man selbst Schaden nahm. Der sich schon vor 2021 deutlich abzeichnende Trend zur größeren Verbreitung von Elektro-Fahrrädern und Elektro-Lastenrädern konnte sich so noch deutlich verstärken. Menschen konnten Lebensmittel, Getränke (auch kohlensäurehaltige), Glas, Elektrogeräte, Elektronik, Keramik und andere empfindliche Sachen endlich auch mit dem Fahrrad transportierten und verzichteten immer öfter auf das Auto. Handwerksleute konnten nun nicht nur Werkzeug, sondern auch empfindliche Ersatzteile und zerbrechliches Material mit dem Lastenfahrrad zu Ihren Baustellen in der Altstadt (und anderswo) bringen. Insgesamt ist hierdurch der KFZ-Verkehr im Stadtgebiet von Regensburg spürbar zurückgegangen.

Auch uns ist es dank der guten Fahrbahnoberflächen heute in 2036 mit unserem Alter von weit über 70 Jahren noch möglich, unsere Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen. In den 2020er-Jahren hatten wir damit experimentiert, die Stöße, denen wir auf dem Fahrrad ausgesetzt waren, durch dicke Reifen mit niedrigem Luftdruck, gefederte Sattelstützen und Federgabeln zu kompensieren. Das Radfahren war aber trotzdem eine heftige Belastung für Gelenke und Wirbelsäule.
Unter den damaligen Bedingungen würden wir wohl heute nur noch selten Rad fahren können. Zum Glück hat die Stadt in den 20er Jahren die Weichen richtig gestellt …